Bring your own source
Wessen Geschichte wird im Unterricht behandelt? Wer findet sich in ihm wieder und wer fühlt sich – andersherum – von den Themen, Materialien und Methoden aus dem Lehrplan und in der Unterrichtspraxis nicht angesprochen oder repräsentiert?
In Anbetracht zunehmend heterogener Klassengemeinschaften an allen Schulformen stellen sich diese Fragen, die sowohl auf den Inhalt, als auch auf die didaktische Form der Vermittlung im Unterricht zielen. Ganz besonders deutlich wird dieses Repräsentanz- und damit auch Relevanzproblem in geisteswissenschaftlichen Fächern wie Geschichte oder Religion. Deshalb begegnen wir dem Problem in diesen Fachdidaktiken, indem wir das Arbeiten mit und an der Quelle ins Zentrum unserer Überlegungen stellen.
Damit folgen wir einem – wenn nicht gar dem – wesentlichen Paradigma aktueller geschichtsdidaktischer Überlegungen: dem Quellenparadigma. Wir gehen dabei aber nicht – wie sonst üblich – von der Quelle aus, sondern wir stellen den Schüler an den Anfang unserer konzeptionellen Überlegungen. Damit nehmen wir ihn „als kleinen Historiker“ ernst und nutzen sein „Orientierungsbedürfnis“ zur Erschließung und Vermittlung von Vergangenheit.
Auch aus religionspädagogischer Perspektive ist die Idee, über die von den Schüler:innen mitgebrachte Theologie ins Unterrichtsgespräch und in eine reflektive Auseinandersetzung zu kommen, ein wichtiges Anliegen. Eine von den Schüler:innen ausgehende Auswahl theologischer und historischer Quellen für den Religionsunterricht, an welcher sich solche Überlegungen zeigen lassen, wäre demnach ein erfolgversprechender Ausgangspunkt.
BYOS richtet sich an Schüler:innen, Lehrkräfte aller Schulformen, Studierende, interessierte Forschende.
Die Idee
Geschichte und Religion sind Unterrichtsfächer, die mit verschiedenen (historischen) Quellen arbeiten, um Schüler:innen so in die Wissenschaft der Fächer einzuführen. Dieser fachdidaktische Kern liegt auch dem Forschungsprojekt bring your own source zugrunde. Dabei gehen wir allerdings nicht – wie sonst üblich – von der Quelle aus, sondern stellen die Schüler:innen an den Anfang unserer Überlegungen. Wir wollen wissen, welche Quellen sie interessieren und wir möchten erfahren, warum. Mit Blick auf die zunehmende sprachlich-kulturelle Heterogenität der Schulklassen adressieren wir mit diesem geisteswissenschaftlichen Ansatz auch Schüler:innen, die unterschiedliche sprachliche, kulturelle und religiöse Hintergründe haben. Sie bringen ihre Sprache in ihrer Quelle und ihr geschichtskulturelles Verständnis durch die Wahl ihrer Quelle in den Unterricht ein. Für die Schüler:innen mit Migrationshintergrund kann das Verständnis der Quellen auf zwei Ebenen betrachtet werden: Erstens benötigen diese Schüler:innen das notwendige Wissen und die kulturellen Kompetenzen, um die historischen und religiösen Hintergründe der (multimodalen) Quellen zu verstehen. Zweitens sind die sprachlichen Fähigkeiten entscheidend, um mit den mehrsprachigen Quellen umzugehen und ihre Kontexte richtig zu erfassen.
Institutionelle Rahmung
Diese konzeptionellen Ansätze untersuchen wir fach- und institutionsübergreifend.
- Die ZEWIL der Georg-August-Universität als Förderer.
- Die Geschichtsdidaktik der Technischen Universität in Dresden durch Prof. Dr. Corinna Link .
- Die Religionspädagogik der Georg-August-Universität Göttingen durch Dr. Melanie Lukas
- Das Netzwerk Lehrkräftefortbildung (NLF) der Georg-August-Universität Göttingen bindet die Projektmaßnahmen in ihre Fortbildungsangebote für Lehrkräfte mit ein.
- Die Niedersächsische Landesschulbehörde , die Landeskirchen und Bistümer unterstützen die konzeptionellen Forschungen an den Schüler:innenquellen.
- Die Ergebnisse des Projekts werden digital über Universitätsbibliotheken und an außerschulischen Lernorten zugänglich gemacht.
Die Ziele
- Auf der Basis von Schüler:innenquellen wird (a) ein kommentiertes Quellenkompendium erstellt, das (b) durch die Impulse, die die Schüler:innen selbst zur Erschließung „ihrer Quelle“ geben, für unterrichtspraktische Zwecke aufbereitet wird. Beides wird in Form eines digitalen Archivs zugänglich gemacht.
- Die Lehrkräfte, die an diesem Projekt mitwirken, begleiten die Entstehung des Quellenkompendiums fortlaufend. Als Produkt entsteht ein fach- und institutionenübergreifendes Fortbildungskonzept, das als Blaupause für künftige Fort- und Weiterbildungsangebote dienen kann. Lehramtsstudierende werden in diesen Prozess eingebunden.
- Der Prozess der Durchführung und Entstehung dieser Produkte – digitales Quellenkompendium und didaktisch aufbereitetes Begleitmaterial sowie das Fortbildungskonzept – werden empirisch forschend (u.a. durch studentische Forschungsarbeiten) begleitet. Eine unterrichtspraktische Implikation des bring your own source- Projekts können wir diesen Studien aber schon vorwegnehmen: Mit BYOS übernimmt nicht ein:e Schüler:in die Sprache und Relevanzbeimessung aller anderen, sondern alle anderen lernen auch andere „historiographische Sprache(n)“ kennen. Statt auf Inklusion des Individuums zielt dieser Ansatz damit auf eine Inversion des Unterrichts.
Ansprechpartner:innen

Dr. Melanie Lukas
Fachreferent*in im Projektmanagement der ZEWIL, stellv. Gleichstellungsbeauftragte

Prof. Dr. Corinna Link
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte
Didaktik der Geschichte
TU Dresden
Corinna.Link@tu-dresden.de