Ringvorlesung

im Wintersemester 2002/2003

 

 

DIE TRAG�DIE

 

 

Eine Leitgattung der

europ�ischen Literatur

 

 

Donnerstag, 18 Uhr c.t.,

Bibliothekssaal in der Paulinerkirche

(am 24. 10. ausnahmsweise in der Aula der Universit�t am Wilhelmsplatz 1)

 

 

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17.10.2002 � Heinz-G�nther Nesselrath

Aischylos, �Orestie�:

Ein erster H�hepunkt des europ�ischen Theaters

 

24.10.2002 � Klaus Nickau

Tragische Helden bei Sophokles

 

31.10.2002 � Hans Bernsdorff

Euripides: Anbruch der Moderne?

 

07.11.2002 � G�nther Patzig

Antike Trag�dienphilosophie: Platon und Aristoteles

 

14.11.2002 � Ulrich Schindel

Senecas Trag�dien: Dissoziation des Dramenk�rpers?

 

21.11.2002 � Heinz-Joachim M�llenbrock

Shakespeare und die elisabethanische Trag�die

 

28.11.2002 � Manfred Engelbert

Kann die comedia tragisch sein?

�berlegungen zum spanischen Welttheater des siglo de oro

 

05.12.2002 � Dirk Niefanger

Barocke Vielfalt:
Trauerspielformen auf deutschen B�hnen

 

12.12.2002 � Hans G�nter Funke

Die franz�sische trag�die classique:

Racines �Ph�dre�

 

19.12.2002 � Irmela von der L�he

Das b�rgerliche Trauerspiel im 18. Jahrhundert

 

09.01.2003 � Werner Frick

Trag�dienexperimente um 1800:

Die Weimarer Klassik und ihre Antipoden

 

16.01.2003 � Reinhard Lauer

Die russische Trag�die

 

23.01.2003 � Horst Turk

Trag�dienphilosophien der Neuzeit:

Kant, Hegel, Nietzsche, Benjamin

 

30.01.2003 � Martin Staehelin

Trag�die als Musiktheater

 

06.02.2003 � Fritz Paul

Henrik Ibsens untragische Trag�dien

 

13.02.2003 � Fred L�nker

Der Verfall des Tragischen

 

 

 

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17. Oktober 2002

 

Prof. Dr. Heinz-G�nther Nesselrath

Aischylos, �Orestie�: Ein erster H�hepunkt

des europ�ischen Theaters

 

 

 

Zwar wurde der Ruhm des Aischylos lange von dem seiner j�ngeren Rivalen Sophokles und Euripides �berstrahlt (deren St�cke wurden seit dem 4. Jahrhun�dert v. Chr. den seinigen bis weit in die Neuzeit vorgezogen), doch waren die Athener des 5. Jahrhunderts anderer Meinung: Sie ehrten Aischylos nicht nur nach seinem Tod (456/5 v. Chr.) damit, da� sie seinen St�cken unbegrenzte Wie�derauff�hrungsm�glichkeit zugestanden, sondern sie erkannten noch f�nfzig Jahre sp�ter Aristophanes den ersten Preis im Kom�dienwettbewerb zu, als er in seinen Fr�schen Aischylos zur Krone der attischen Trag�dienkunst erkl�rte. In der Tat erhielt die attische Trag�die vor allem durch Aischylos in der ersten H�lfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ihre charakteristische Form: Seine �Erfindung� der zweiten Sprechrolle machte die f�r sie typische Abfolge von Sprechakten und Chorauftritten m�glich und schuf damit etwas, was sowohl in Richtung Singspiel wie reines Sprechdrama weiterentwickelt werden konnte.

Wenige Jahre vor Aischylos� Tod aufgef�hrt (458), bildet die Orestie den H�he�punkt seines Schaffens. Als einzige aus der Antike erhaltene St�cktrilogie ver�mittelt sie uns auch einen einzigartigen Eindruck von einem typischen Theater�erlebnis im klassischen Athen, wo man einen ganzen Tag damit zubrachte, zuerst drei tragische Dramen und danach noch ein Satyrspiel zu verfolgen. Mehr als seine beiden gro�en Rivalen hat Aischylos f�r solche St�ckfolgen auch �bergrei�fende Inhalte gesucht; so stellt die Orestie die sich von Generation zu Generation fortpflanzende Kette von Verbrechen im F�rstenhaus der Atriden dar, bis es durch die Begr�ndung einer neuen Rechtsform gelingt, den Kreislauf der Vergel�tung dauerhaft zu durchbrechen. Die drei St�cke zeigen packende, stark mitein�ander kontrastierende Charaktere und spannende Entscheidungssituationen; Aischylos� visuelle Effekte waren schon in der Antike ber�hmt. Schon in der Orestie zeigt so das europ�ische Theater, was es zu leisten vermag.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Textausgabe: M. L. West, Aeschyli tragoediae cum incerti poetae Pro�metheo, Stuttgart 1990. � �bersetzung: B. Seidensticker, Aischylos, Orestie in der �ber�setzung von Peter Stein, mit einem Nachwort hrsg., M�nchen 1997. Kommentare: E. Fraen�kel, Aeschylus. Agamemnon, Oxford 1950 (3 Bde). � J. D. Denniston & D. L. Page, Aeschylus. Agamemnon, Oxford 1957. � A. F. Garvie, Aeschylus. Choephori, Oxford 1986. � A. H. Sommerstein, Aeschylus. Eumenides, Cambridge 1989. Sekund�rliteratur: M. Hose, Aischy�los� Orestie � eine alte Geschichte neu erz�hlt, in: Ders., Meisterwerke der antiken Literatur, M�nchen 2000, 34-53. � L. K�ppel, Die Konstruktion der Handlung der Orestie des Aischylos. Die Makrostruktur des �Plot� als Sinntr�ger in der Darstellung des Geschlechterfluchs, M�n�chen 1998. � Ders., Der Fluch im Haus des Atreus: Von Aischylos zu Eugene O�Neill, in: H. Hofmann (Hrsg.), Antike Mythen in der europ�ischen Tradition, T�bingen 1999, 221-241. A. Bierl, Die Orestie des Aischylos auf der modernen B�hne. Theoretische Konzeptionen und ihre szenische Realisierung, Stuttgart 1997.

 

 

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24. Oktober 2002

 

Prof. Dr. Klaus Nickau

Tragische Helden bei Sophokles

 

 

 

Sophokles (497-406/05 v. Chr.) ist der im engeren Sinne klassische der drei gro��en attischen Tragiker. Er habe, so etwa soll er gesagt haben, erst den Prunk des Aischylos und die H�rten seiner eigenen Kunst �berwinden m�ssen, ehe er zu seinem die Charaktere genau ausdr�ckenden Stile fand. Euripides, so zitiert ihn Aristoteles in der Poetik, stelle die Menschen dar, wie sie sind, er aber, wie sie sein sollen. Sophokles wisse, so urteilt schlie�lich ein antiker Biograph, den entschei�denden Augenblick und die Handlungen so genau ins Verh�ltnis zu bringen, da� aus einem kleinen Halbvers, ja aus einem einzelnen Wort eine ganze Person mit ihrem Charakter hervorgehe.

Was macht die gro�en, so klar gezeichneten Gestalten des Sophokles in einem be�sonderen Sinne zu tragischen Helden? Was f�r ein Menschenbild liegt ihnen zugrunde? Was macht ihre heldische Bew�hrung, was ihr tragisches Leiden aus? An zwei Trag�dien, dem relativ fr�hen Aias und dem erst in hohem Alter vom Dichter aufgef�hrten Philoktet sollen diese Fragen er�rtert werden.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Sophoclis fabulae, rec. H. Lloyd‑Jones et N. G. Wilson, Oxford 1990 (krit. Ausgabe). � Sophokles, Dramen, Griechisch und deutsch, hrsg. u. �bers. von W. Willige, �berarb. von K. Bayer, M�nchen und Z�rich 21985 [Tusculum; 1990 als Taschenbuch dtv 2252] (Leseausgabe). � Sophokles, Trag�dien, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von W. Scha�dewaldt, Z�rich 1968 u.�. [Artemis] (nur �bers.). � Einzel�bersetzungen: Sophokles, Aias, R. Rauthe (Reclam UB 677); Philoktet, W. Kuchenm�ller (Reclam UB 709; beide Dramen auch bei Suhrkamp it 1562 und 2535). � Zur Einf�hrung: B. Zimmermann, Die griechische Trag�die, M�nchen und Z�rich 21992. � J. Latacz, Einf�hrung in die griechische Trag�die, G�ttingen 1993. � Speziell: K. Reinhardt, Sophokles, Frankfurt/M. 31949. � B. M. W. Knox, The Heroic Temper, Berkeley 1964. � Chr. Meier, Die politische Kunst der griechischen Trag�die, M�n�chen 1988.

 

 

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31. Oktober 2002

 

PD. Dr. Hans Bernsdorff

Euripides: Anbruch der Moderne?

 

 

 

Unter dem Namen des Euripides, des j�ngsten der drei gro�en Trag�diendichter des klassischen Athen (geb. zwischen 485 und 480, gestorben 406 v. Chr.), sind 18 Trag�dien und ein Satyrspiel �berliefert, mehr St�cke als von Aischylos und Sophokles zusammen. Das zeugt ebenso von seiner im 4. Jhd. v. Chr. einsetzen�den Popularit�t wie die zahlreichen durch Zitate bei sp�teren Autoren oder auf Papyrus erhaltenen Bruchst�cke, deren f�r die nahe Zukunft angek�ndigte Neu�ausgabe zu den wichtigsten editorischen Unternehmungen der Gegenwarts-Gr�zistik geh�rt. Die Beliebtheit des Euripides zeigt sich auch in zahlreichen sp�teren Adaptationen, vom hellenistischen und r�mischen bis zum neuzeitlichen Drama, in dem die deutsche Klassik mit Goethes Iphigenie auf Tauris von 1796 einen H��hepunkt darstellt.

Schon von Zeitgenossen wie dem Kom�diendichter Aristophanes, vor allem aber in der Forschung nach dem Ersten Weltkrieg wurden bestimmte Z�ge des euripi�deischen Werkes (z.B. das Verh�ltnis zwischen Mensch und Gott, das Interesse f�r die Abgr�nde der Seele, die Destruktion des Heroischen) als besonders modern empfunden. Die Vorlesung fragt nach der Berechtigung solcher Ein�sch�tzungen, indem sie zum Vergleich auf Konzeptionen der Modernit�t zur�ck�greift, wie sie die Komparatistik herausgearbeitet hat.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Textkritische Ausgabe von J. Diggle, Oxford 1981-1994. Griechisch-deutsche Gesamtausgabe (mit ausgew�hlten Fragmenten) mit der �bersetzung von E. Buschor, hrsg. v. G. A. Seeck, M�nchen 1972-1981. � Zur Einf�hrung: B. Zimmermann, Die griechische Trag�die, 2. Auflage M�nchen 1992, 94-138.

 

 

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7. November 2002

 

Prof. Dr. G�nther Patzig

Antike Trag�dienphilosophie:

Platon und Aristoteles

 

 

 

Da� in Athen im f�nften Jahrhundert (ca. 484-406 v. Chr.) drei tragische Dichter vom Rang eines Aischylos, Sophokles oder Euripides auftraten, ist ebenso unerkl�rlich wie die nur um einige Jahrzehnte versetzte Trias der Philosophen Sokrates, Platon und Aristoteles (ca. 460-322 v. Chr.). Angesichts dieser Konzentration von Genies mu�ten die Nachwelt die Texte besonders fesseln, in denen die gro�en Denker auf die von den Tragikern geschaffenen Werke mit theoretischen Reflexionen antworteten. Der Vortrag geht diesen Begegnungen nach. Platon und Aristoteles in gleicher Weise in die Be�trachtung einzubeziehen, w�rde den Rahmen eines Vortrags sprengen. Der Akzent wird vor allem auf Aristoteles liegen. Das ist schmerzlich, aber sachlich vertretbar: Platon, in den beiden Textabschnitten (Res publica II/III 376c-403c; X 595a-608b), in denen er seinen Sokrates �ber Kunst, speziell Dichtung, sprechen l��t, zielt in der ersten Passage vor allem auf die f�r die Erziehung der �W�chter� bedeutsame p�dagogisch-sittenbil�dende Wirkung ab; in der sp�teren Partie des Staats geht es um die ontologische Schw�che aller Kunst � �drittrangig, was die Wahrheit betrifft�.

Aristoteles geht es in seiner kurzen Schrift De arte poetica � jenem nach Scaligers be�r�hmten Wort �aureum libellum� � mehr um die begriffliche Erfassung der eigentlichen Natur (�Physis�) der Trag�die, die er als die h�chste Form der Dichtung ansieht, und, vor allem, um eine Erkl�rung der Wirkung der Trag�die auf empf�ngliche Zuschauer (oder H�rer). W�hrend bei Platon der zentrale Begriff seiner Reflexion auf die Dichtung der der �Mi�mesis� ist, steht im Zentrum der aristotelischen Analyse der Begriff der �Katharsis�, der �Reinigung� bzw. der �Befreiung� von Affekten, speziell von den �tragischen Affekten� des Mitleids und der Furcht, oder, wie seit W. Schadewaldt manche lieber wollen, des �Jammerns� und des �Schauderns�.

Seit der Renaissance hat man die aristotelische, in Poetik 6, 1449 b 24-28 formulierte These, die Trag�die bewirke mit ihren kunstgerechten Mitteln eine �Katharsis der Lei�denschaften� und dadurch eine spezifisch tragische Lust, in verschiedener Weise zu er�kl�ren versucht. Von gro�er Wirkung waren in Deutschland die Stellungnahmen Les�sings (Hamburgische Dramaturgie 74.-83. St�ck, 1767/68) und Goethes (Nachlese zu Aristoteles� Poetik, 1827), die man wohl als, wenn auch h�chst produktive, Missver�st�ndnisse ansehen mu�. Man sollte, wie es allerdings auch in �hnlichen Kontroversen oft nicht geschieht, die beiden Fragen auseinanderhalten: (a) �Was genau hat Aristoteles gemeint?� (Haupt�thema der bisherigen Diskussion); und (b) �Hat Aristoteles mit seiner Auffassung Recht?� Die zweite Frage l��t sich wiederum in zwei Teilfragen gliedern: (b)1, ob Aristoteles� These auf die griechische Trag�die des 5. Jahrhunderts zutrifft, und (b)2, ob er eine f�r tragische Dichtung als solche allgemeing�ltige Kennzeichnung vorgelegt hat.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Platon, Res publica, gr. in Platonis Opera, ed. J. Burnet, OCT, Bd. IV, Oxford 1902 (zahreiche Nachdrucke). Dt. �bersetzungen: Otto Apelt, Philosophische Biblio�thek Bd. 80, Leipzig 1923, Neudruck Hamburg 1988; K. Vretska, Stuttgart 1958. � Aristoteles, De arte poetica, ed. R. Kassel, Oxford 1965. Org. u. dt., mit Anm. und Nachwort hg. v. M. Fuhrmann, Stuttgart 1982, �1994. � Zur Einf�hrung: Artikel �Platon� (J. Timmermann), S. 631-640; �Aristoteles� (Chr. Rapp), S. 23-35, in: J. Nida-R�melin u. M. Betzler: �sthetik und Kunstphilosophie in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1998. � Artikel: �Mimesis� (W. Erhart) S. II, 595-600; �Katharsis� (C. Zeller) S. II, 249-252, in: H. Fricke u.a. (Hg.): Reallexikon der dt. Literaturwissenschaft, Bd. II, Berlin, New York 2000. � A. Schubert: Platon, Der Staat. Ein einf�hrender Kommentar, UTB 1866, 1995, S. 150-164. � M. Luserke (Hg.): Die Aristotelische Katharsis, Hildesheim 1994.

 

 

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14. November 2002

 

Prof. Dr. Ulrich Schindel

Senecas Trag�dien:

Dissoziation des Dramenk�rpers?

 

 

 

Senecas Trag�dien sind die einzigen, die uns aus der reichen r�mischen Trag��dienproduktion erhalten sind. Und sie stammen aus einer Zeit, als die lebendige r�mische Theaterpraxis sechs oder mehr Generationen zur�cklag. Sind sie nun versp�tete Solit�re oder doch Zeugnisse einer ganz neuen Poetik, die mit den Ka�tegorien aristotelischer Dramen-Theorie nur noch wenig Ber�hrung haben? Sind sie gar Lehrst�cke der stoischen Affektlehre und nur zum Lesen oder Vorlesen gedacht? Die Fachleute haben sich seit den letzten sechzig Jahren sehr kontrovers zu diesen Fragen ge�u�ert. Eine L�sung bietet sich vielleicht, wenn man Senecas Trag�dien vor dem Hintergrund der zeitgleichen Deklamationen betrachtet, Musterreden, wie sie in den zeitgen�ssischen Rhetorenschulen ge�bt wurden und wie sie Seneca nat�rlich unter dem Einflu� seines Deklamationen-besessenen Vaters kannte und in jungen Jahren ge�bt hatte. Mag ein eindeutiges Ergebnis auch vielleicht nicht erreichbar sein, so lohnt es sich doch immer, die Werke eines Mannes in die Hand zu nehmen, von dem gesagt wurde, da� er �der gr��te Ver�treter einer neuen, auf Schlagkraft, Pointierung und Knappheit, vielmehr einem ganzen Hagel von Knappheiten bedachten Beredsamkeit ist, zweifellos der ein�zige, der es an Geist und Bildung mit Cicero aufnehmen kann� (W.H. Friedrich).

 

 

 

Literaturempfehlungen: Seneca, Oedipus, lat./dt. �bers. u. hrsg. v. K. Heldmann (Reclam) � Se�neca, Medea, hrsg. u. �bers. v. B.W. H�uptli (Reclam) � Zur Einf�hrung: Senecas Trag�dien, hrsg. v. E. Lef�vre, Wege der Forschung 310, Darmstadt 1972.

 

 

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21. November 2002

 

Prof. Dr. Heinz-Joachim M�llenbrock

Shakespeare und die

elisabethanische Trag�die

 

 

 

Als Shakespeare sich dem Trag�dienschaffen zuwandte, konnte er auf keine in seinem kulturellen Umfeld akzeptierte Theorie dieser Gattung zur�ckgreifen. Im elisabethanischen England gab es als kleinsten gemeinsamen Nenner lediglich die generisch wenig pr�zise Vorstellung vom Fall eines Gro�en. In dem Vortrag soll dargelegt werden, wie Shakespeare, an dieses elementare Konzept ankn�pfend, es zu einer komplexen Auseinandersetzung mit den bis in ihre Tiefe ausgeloteten tragischen Befindlichkeiten menschlicher Existenz ausweitete. Dabei sollen zwei Fallstudien im Mittelpunkt stehen. Am Beispiel von Julius Caesar wird aufge�zeigt, wie dieses als politische Charaktertrag�die zu interpretierende R�merdrama bereits vollen tragischen Rang beanspruchen kann. Unter den sogenannten gro��en Trag�dien geh�rt die Aufmerksamkeit vor allem Macbeth; der Vortragende konzentriert sich auf das zentrale Problem der in diesem St�ck besonders heiklen Sympathielenkung: gelingt es Shakespeare, seinem Protagonisten die f�r einen tragischen Helden notwendige Sympathie des Publikums zu sichern? Alle n�her zu kommentierenden Textpassagen werden sowohl im englischen Original als auch in deutscher �bersetzung ausgeben werden.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Gesamtausgabe: The Complete Works, ed. Stanley Wells and Gary Tay�lor, Oxford 1998. � Kritische Einzelausgaben u.a. in The Arden Shakespeare. � �bersetzungen (au�er den klassischen �bertragungen von Schlegel-Tieck): Julius C�sar, zweisprachige Aus�gabe. Neu �bersetzt und mit Anmerkungen versehen von Frank G�nther, M�nchen 1998. � Macbeth, Englisch und Deutsch. �bersetzt und herausgegeben von Barbara Rojahn-Deyk, Stuttgart 1996. � Sekund�rliteratur: Ulrich Suerbaum, Shakespeares Dramen D�sseldorf 1980. � Dieter Mehl, Die Trag�dien Shakespeares. Eine Einf�hrung Berlin 1983. � Ina Schabert (Hg.), Shakespeare‑Handbuch. Die Zeit � Der MenschDas Werk � Die Nachwelt, Stuttgart 2000.

 

 

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28. November 2002

 

Prof. Dr. Manfred Engelbert

Kann die comedia tragisch sein?

�berlegungen zum spanischen Welttheater

des Siglo de Oro

 

 

 

Feste Verankerung im Katholizismus und konsequente Stilmischung sind zwei wesentliche Merkmale des spanischen Theaters des 16. und 17. Jahrhunderts, die Lope de Vegas �neue Kunst� ebenso bestimmen wie Calder�ns weltliche und geistliche St�cke. Sowohl �sthetisch wie theologisch-ethisch scheint die Trag�die in der �comedia� � so die allgemeine Bezeichnung des Hauptprodukts f�r die B�hnen im Spanien der Habsburger � also nicht ihren Ort zu haben. Auch ist be�hauptet worden, das zeitgen�ssische Publikum sei eben nicht �tragisch aufgelegt� gewesen. Dennoch ist immer wieder von den Trag�dien der gro�en Spanier ge�sprochen worden.

 

Der Vortrag wird versuchen, eine Definition von Trag�die und Tragik zu geben, die ontologische wie praktische Gesichtspunkte im historischen Kontext ber�ck�sichtigt. Tragik wird dabei als Konzept erkennbar werden, mit dem sich unbew�l�tigte, nicht als zu bew�ltigend erscheinende gesellschaftliche Ph�nomene �sthe�tisch fassen lassen.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Manfred Tietz, �Das Theater im Siglo de Oro�, in: Hans-J�rg Neu�sch�fer (Hg.), Spanische Literaturgeschichte, Stuttgart, Weimar 1997, 152-184. � Manfred Engelbert, �Calder�n de la Barca�, in: Klaus P�rtl (Hg.), Das Spanische Theater � Von den Anf�ngen bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Darmstadt 1985, 240-279.

 

 

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5. Dezember 2002

 

PD Dr. Dirk Niefanger

Barocke Vielfalt:

Trauerspielformen auf deutschen B�hnen

 

 

 

Wesentlich st�rker als das Theater der Nachbarl�nder war die deutsche B�hne des 17. Jahrhunderts durch ihre Internationalit�t gepr�gt, insbesondere auch das ba�rocke Trauerspiel. Das liegt vor allem an der kulturellen und politischen Vielfalt des Heiligen R�mischen Reiches Deutscher Nation, an der dezentralen Ausrich�tung seiner Kultur und der spezifischen Konkurrenz zwischen den einzelnen H�fen und St�dten. Das fehlende Nationaltheater und die lange Orientierung am lateinischen Humanismus haben ein eigenst�ndiges und unabh�ngiges Theater lange verhindert, waren aber nicht von Nachteil f�r seine Entwicklung; denn das barocke Drama konnte sich, wie keine der Nachbarkulturen, auf die besten Exempel dieser Gattung beziehen. In seinen unterschiedlichen Formen nimmt es produktiv und spielerisch Aspekte des antiken, mittelalterlichen, englischen, ita�lienischen, spanischen, franz�sischen und niederl�ndischen Dramas auf. Obwohl also ein deutschsprachiges Trauerspiel auf europ�ischem Niveau erst nach Shakespeare, Calderon, Tasso oder Corneille, n�mlich erst im 17. Jahrhundert entsteht mu� es als ein � zumindest von der heutigen B�hne verkannter � Meilen�stein des europ�ischen Theaters angesehen werden.

Im Vortrag werden voraussichtlich (mit einem Seitenblick auf Shakespeare und das Drama der franz�sischen Klassik) Trauerspielformen der Wanderb�hne, der Jesuiten und des protestantischen Schultheaters (Gryphius, Lohenstein, Weise) behandelt. Viele Texte von Bidermann, Gryphius, Hallmann, Lohenstein, Opitz und Weise sind bei Reclam erschienen.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Alexander, Robert J.: Das deutsche Barockdrama, Stuttgart 1984. � Steinhagen, Harald (Hg.): Zwischen Gegenreformation und Fr�haufkl�rung: Sp�thumanismus, Barock. 1570-1740, in: Horst Albert Glaser (Hg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3, Reinbek 1985. � Brauneck, Manfred: Die Welt als B�hne. Geschichte des europ�ischen Theaters, Stuttgart, Weimar 1993 ff. � Kindermann, Heinz: Theatergeschichte Europas. Bd. 3: Das Theater der Barockzeit, Salzburg 21967. � Meier, Albert (Hg.): Die Literatur des 17. Jahr�hunderts, M�nchen 1999. � Niefanger, Dirk: Barock. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart, Weimar 2000. � Niefanger, Dirk: Trag�die, in: Der Neue Pauly. Enzyklop�die der Antike, hg. v. Hubert Cancik und Helmuth Schneider, Teil II: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 15, Stuttgart, Weimar. [i.Dr.] � Schings, Hans-J�rgen: Consolatio tragoediae. Zur Theorie des ba�rocken Trauerspiels, in: Reinhold Grimm (Hg.): Deutsche Dramentheorien. Beitr�ge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland, Frankfurt 31980, 1-44.

 

 

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12. Dezember 2002

 

Prof. Dr. Hans-G�nter Funke

Die franz�sische trag�die classique:

Racines �Ph�dre�

 

 

 

Im nationalliterarischen Selbstverst�ndnis Frankreichs gilt die von Corneille und Racine repr�sentierte Gattung der regeltreuen Trag�die als die �sthetisch vollen�detste Sch�pfung des 17. Jahrhunderts. Ph�dre, Racines 1677 uraufgef�hrte Ge�staltung des antiken Phaedra-Hippolytos-Stoffes, gilt als sein Meisterwerk, ja als das beste Werk der franz�sischen Literatur schlechthin. W�hrend Corneilles stoische Helden in dem Konflikt zwischen Liebe und Pflicht sich mit eherner Willensst�rke f�r die Pflicht entscheiden, werden die sensibleren Helden Racines Opfer ihrer fatalen Liebesleidenschaft. Unter Berufung auf das Vorbild der An�tike � die Trag�dien von Euripides und Seneca � behandelt Racine die k�hne Thematik der ehebrecherischen und inzestu�sen Liebe einer K�nigin, in der Ab�sicht, die tragische B�hne als eine �Schule der Tugend� zu funktionalisieren. Der Vortrag soll vor allem die folgenden Aspekte herausarbeiten: die Ver�nderung der antiken Vorlagen durch die klassizistische Regelpoetik (doctrine classique), die strukturstiftende Parallelit�t des Kampfes von Ph�dre und Hippolyte um ihre moralische Integrit�t, die Merkmale der griechischen Trag�die in �Ph�dre� (Pr�senz der G�tter, G�tterfluch), endlich die komplexe Schuldfrage: die schuldlos-schuldige Ph�dre als Opfer des G�tterfluchs, die Deutung der Trag�die im Sinne des pessimistischen Menschenbildes der christlich-jansenistischen Gnadenlehre.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Jean Racine, Ph�dre, in: �uvres compl�tes, Ed. R. Picard, Bd. I, S. 735-803, Paris 1969 (Biblioth�que de la Pl�iade, 5). � Ph�dra. Trauerspiel von Racine, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. XV, �bersetzungen aus dem Franz�sischen, Hrsg. W. Hirdt, Weimar 1996, S. 275-387. � Jean Racine, Ph�dre/Ph�dra. Trag�die en cinq actes/Trag�die in f�nf Aufz�gen frz./dt., Hrsg. u. �bers.: Wolf Steinsieck, Ditzingen, Reclam 1995. � Antoine Adam, Histoire de la litt�rature fran�aise au XVIIe si�cle, Bd. IV, Paris, 1968, S. 255-377. � Pierre Clarac, L�Age classique, Bd. II, Paris 1969, S. 237-257 (Litt�rature fran�aise, 7). � Ren� Bray, Formation de la doctrine classique, Paris 1963.

 

 

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19. Dezember 2002

 

Prof. Dr. Irmela von der L�he
Das b�rgerliche Trauerspiel
im 18. Jahrhundert

 

 

 

Aus England kam die dramatische Form, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die Entwicklung der Trag�die in Deutschland ma�geblich pr�gen sollte: das b�r�gerliche Trauerspiel. George Lillos The London Merchant (1731) wurde zum Prototyp einer Gattung, die von Lessings Mi� Sara Sampson (1755) �ber Emilia Galotti (1772), Heinrich Leopold Wagners Kinderm�rderin (1776) bis zu Schillers Kabale und Liebe (1784) reicht und im 19. Jahrhundert u.a. mit Hebbels Maria Magdalena (1844) oder Gerhart Hauptmanns Rose Bernd (1903) fortgef�hrt wird. Thematisch und kompositorisch bricht das b�rgerliche Trauerspiel mit den Gat�tungskonventionen der Trag�die: nicht Haupt- und Staatsaktionen, nicht Ehr- und Normenkonflikte von (adeligen) Standespersonen, sondern der scharfe Ge�gensatz zwischen absolutistischer Willk�r und b�rgerlichem Tugendethos bestimmen das dramatische Geschehen. In der moralisch-empfindsamen Integri�t�t familialer Bindungen erkennt man das Modell einer urspr�nglichen und nat�r�lichen Sozialordnung, die indes nicht nur durch den Adel, sondern durch die Ri�gidit�t der b�rgerlich-familialen Normen selbst bedroht ist. Die neue Gattung liefert somit nicht nur die Kritik an der h�fisch-aristokratischen Lebensform, sondern auch an deren Gegenentwurf, an der b�rgerlichen Familie.

An ausgew�hlten Beispielen (insbesondere Lessing und Schiller) wird der Vortrag die Entwicklung der Gattung und den Wandel ihres zentralen Paradigmas nach�zeichnen.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Alle Texte liegen als Reclam-Ausgaben vor. Zur einf�hrenden Lekt�re au�erdem empfohlen: Karl S. Guthke: Das deutsche b�rgerliche Trauerspiel. Stuttgart 51994.

 

 

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9. Januar 2003

 

Prof. Dr. Werner Frick

Trag�dienexperimente um 1800:

Die Weimarer Klassik und ihre Antipoden

 

 

 

Zur Bestimmung des Gemeinsamen der europ�ischen Klassiken und Klassizismen hat die Forschung (W. Vo�kamp, R. Koselleck) eine �Wiederholungsstruktur� benannt, die sich insbesondere in zwei Merkmalen geltend mache: in einer Tendenz zum genus sublime, zur erh�ht-erhabenen Stillage, einerseits und im R�ckgriff auf antike Modelle, in der �Grundfigur des Mythos als Thema des Dramas�, andererseits. Das gilt auch f�r die deutsche Literatur �um 1800�, und es gilt in ausgezeichneter Weise f�r die antikisierenden Dramenexperimente, in denen f�hrende Autoren der Goethezeit (Wieland, Klinger, Ch. von Stein, Goethe, Schiller, A.W. Schlegel, H�lderlin, Kleist) aus der produktiven und �agonalen� Auseinandersetzung mit den attischen Tragikern, mit Aischylos, Sophokles und Euripides, ein neues, zeitgem��es Verst�ndnis des Tragischen und der Trag�die zu gewinnen suchen. Der Vortrag wird in einer tour d�horizon die epochale Gemengelage solcher dramatischen Antikenexperimente vorstellen und �sortieren�, und er wird an den drei �berragenden Paradigmen dieser litt�rature au second degr� (G. Genette) � an Goethes Iphigenie auf Tauris (1779/87), Schillers Braut von Messina (1804) und Kleists Penthesilea (1808) � die dramaturgische, �sthetische und geschichtsphilosophische Spannweite wie den enormen Spannungsreichtum dieser (gleichsam in einer querelle des anciens et des anciens miteinander rivalisierenden) Trag�dienexperimente zu erl�utern suchen.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Die drei zentralen Bezugstexte sind in jeder Werkausgabe greifbar, am preiswertesten bei Reclam: Iphigenie auf Tauris (RUB 83), Die Braut von Messina (RUB 60), Penthesilea (RUB 1305). � Zur Einf�hrung in den Gegenstandsbereich k�nnen dienen: Rolf-Peter Carl: Sophokles und Shakespeare? Zur deutschen Trag�die um 1800. In: Deut�sche Literatur zur Zeit der Klassik, hrsg. von K.O. Conrady, Stuttgart 1977, S. 296-318. � Werner Frick: �Ein echter Vorfechter f�r die Nachwelt�. Kleists agonale Modernit�t � im Spiegel der Antike. In: Kleist-Jahrbuch 1995, S. 44-96. � Ders.: Schiller und die Antike. In: Helmut Koopmann (Hg.): Schiller-Handbuch, Stuttgart: Kr�ner, 1998, S. 91-116. � Kurt von Fritz: Antike und moderne Trag�die. Neun Abhandlungen, Berlin 1962. � Martin Mueller: Children of Oedipus and other essays on the imitation of Greek tragedy 1550-1800, Toronto/Buffalo/London: University of Toronto Press, 1980. � Uwe Petersen: Goethe und Euripides. Untersuchungen zur Euripides-Rezeption in der Goethezeit, Hei�del�berg 1974. � Siegfried Streller: Antikerezeption und Schicksalsproblematik. Der Versuch einer Erneue�rung der antiken Trag�die. In: Par�alle�len und Kon�tra�ste. Studien zu literarischen Wechselbe�ziehungen in Europa zwischen 1750 und 1850, hrsg. von H.-D. Dahnke, Berlin/�Weimar 1983, S. 221-243. � Wilhelm Vo�kamp (Hg.): Klassik im Vergleich. Normativit�t und Historizit�t europ�ischer Klassiken. DFG-Symposion 1990, Stuttgart/Weimar: Metzler, 1993.

 

 

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16. Januar 2003

 

Prof. Dr. Reinhard Lauer

Die russische Trag�die

 

 

 

Infolge des in den orthodoxen L�ndern lange geltenden Theaterverbotes fand die dramatische Kunst erst sehr sp�t Eingang nach Ru�land. Nach mancherlei An�l�ufen wurde 1756 das Russische Nationaltheater in St. Petersburg gegr�ndet, in dessen Repertoire fortan die Trag�die nach klassizistischem Zuschnitt (Racine, Gottsched) die beherrschende Rolle innehatte. Die russischen Musterst�cke lie�ferte schon seit 1747 A.P. Sumarokov; sie wurden recht schematisch bis ins 19. Jahrhundert hinein nachgeahmt und fortgef�hrt. A.S. Pu�kin und einige Dichter aus seinem Umkreis versuchten in den 1820er Jahren, die Trag�die im Sinne von Shakespeares historical plays zu erneuern. Boris Godunov wurde hier der exempla�rische Text, der im 19. Jahrhundert nicht wenige Nachfolger fand. Ein dritter Versuch, die Gattung diesmal im R�ckgriff auf die griechischen Tragiker zu bele�ben, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts unternommen (Innokentij Annenskij, Vjačeslav Ivanov). Trotz dieser drei bedeutsamen Ans�tze hat die Trag�die in Ru�land keinen bestimmenden Platz unter den dramatischen Gattungen einge�nommen, sondern bildete eher nur eine Unterstr�mung hinter dem russischen Hauptstrom, der durch die dramatischen Werke A.S. Griboedovs, N.V. Gogols, A.N. Ostrovskijs, A.P. Čechovs und M. Gor�kijs gegeben ist.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Reinhard Lauer: Geschichte der russischen Literatur. Von 1700 bis zur Gegenwart. M�nchen 2000. � Russkie dramaturgi XVIII-XIX vv. Monografičeskie očerki v trech tomach. Hrsg. von G.P. Berdnikov u.a. Leningrad-Moskau 1959-1961. � Hans-Bernd Harder: Studien zur Geschichte der russischen klassizistischen Trag�die 1747-1769. Wiesbaden 1962. � E.P. Gorodeckij: Tragedija A.S. Pu�kina �Boris Godunov�. Leningrad 1969. � Rolf-Dieter Kluge: Die Komposition des �Boris Godunov�. In: Serta Slavica: in memoriam Aloisii Schmaus. Hrsg. von Wolfgang Gesemann. M�nchen 1971, S. 342-354. � Armin Hetzer: Vjačeslav Ivanovs Trag�die Tantal. Eine literarhistorische Interpretation. Phil. Diss. Bonn 1972. � Vsevolod Setschkareff: Studies in the Life and Work of Innokentij Annenskij. The Hague 1963.

 

 

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23. Januar 2003

 

Prof. Dr. Horst Turk

Trag�dienphilosophien der Neuzeit

Kant, Hegel, Nietzsche und Benjamin

 

 

 

Nicht nur die Theorie des Tragischen, auch die Theorie der Trag�die scheint seit den Anf�ngen bei Platon und Aristoteles eine Dom�ne der philosophischen �sthetik zu sein. Es gibt eine Soziologie des Dramas, auch eine Semiotik des Komischen und der Kom�die, jedoch � trotz gewisser Ans�tze bei Luk�cs, Nietz�sche und Benjamin � keine Soziologie oder Semiotik des Tragischen und der Tra�g�die: eine Zugangsweise, die neben dem vertrauten Blick der Dramenpoetik allerdings auch den �fremden Blick� der Theater�sthetik vorausgesetzt h�tte. Wir werden mithin bis zu einem gewissen Grad gen�tigt sein, theoretisches Neuland zu betreten, wenn wir versuchen wollen, Konstruktionsweisen von Tragik ein�schlie�lich ihrer philosophischen Interpretation anhand von Trag�dien und das hei�t: trag�dientheoretisch, herauszuarbeiten. Beschreitbar ist zum einen der Weg der historischen Einbettung von Kant, Hegel, Nietzsche und Benjamin in den Kontext der Aufkl�rung, des Idealismus, des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts: traditionellerweise im Sinn des mangeln�den Verst�ndnisses f�r ausweglose Konflikte, des geschichtsphilosophischen Ausgleichs derselben, der Polarisierung unter diesem Vorzeichen, der Aufl�sung eines Paradigmas. Beschreitbar ist zum anderen der Weg einer weniger interpre�tationsgeschichtlichen als zeichengeschichtlichen Analyse auf philologischer � sowohl dramenpoetischer wie auch theater�sthetischer � Grundlage. Trag�dien, ob lebensweltlich oder literarisch, basieren nicht auf einer metaphysischen We�senheit, sondern die Annahme einer solchen Wesenheit basiert auf Trag�dien, womit wir uns, anders als erwartet, doch wieder in der N�he der Aristotelischen Poetik befinden.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Zur vorbereitenden Lekt�re empfohlen: Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, hg. v. Karl Vorl�nder, Hamburg 1974, � 23-30, zur Analytik des Erhabenen. � Georg Wilhelm Friedrich Hegel: �Die Arten der dramatischen Poesie und deren Hauptmo�mente�, in: Ders., Werke in zwanzig B�nden, hg. v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Bd. 15: Vorlesungen �ber die �sthetik III, Frankfurt/M. 1973, S. 519-574. � Friedrich Nietz�sche: �Geburt der Trag�die. Oder: Griechentum und Pessimismus�, in: Nietzsche Werke, hg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari, Abt. III, Bd. 1, Berlin, New York 1972, S. 1-152. � Walter Benjamin: �Ursprung des deutschen Trauerspiels�, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1.1, S. 203-430. � Literarisch kann die Vorlesung an bereits behandelte Autoren ankn�pfen (ber�hrt werden vermutlich: Sophokles, Antigone; Euripides, Iphigenie in Aulis; Shakespeare, Julius Caesar; Goethe, Tasso; Schiller, Fiesko; B�chner, Danton; Beckett, Endspiel). Zur Einf�hrung und als Hintergrundfolie: Peter Szondi: Versuch �ber das Tragische, Frankfurt/M. 21964.

 

 

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30. Januar 2003

 

Prof. Dr. Martin Staehelin

Trag�die als Musiktheater

 

 

 

Manches, was das Musiktheater an ernsten Sch�pfungen hervorgebracht hat, steht, beinahe seit seinen Anf�ngen und dann �ber Jahrhunderte hin, im Banne der gro�en Trag�die des Klassischen Altertums. Dies gilt schon f�r die fr�he Oper um 1600, ebenso f�r die typisierte sp�tbarocke Opera seria des 18. Jahrhun�derts, ja selbst noch f�r das Musikdrama Wagners, und dies, obwohl die Verto�nungen, die innerhalb solcher Auseinandersetzung mit der antiken Trag�die ent�stehen, wegen des zus�tzlichen Mediums der Musik immer wieder Modifikationen, Umgestaltungen, ja Mi�verst�ndnisse der tragischen Form und Textgrundlage erfahren m�ssen. Da eine Gesamtgeschichte des ernsten Musik�theaters in einer Einzelvorlesung nicht geboten werden soll und kann, wird es vor allem darum gehen, jene Auseinandersetzung an wenigen, aber wichtigen musik�theatralischen Konzeptionen und zugeh�rigen Werken anschaulich zu machen: die Namen, mit denen sich dieses verbindet, sind diejenigen von Claudio Monte�verdi, Christoph Willibald Gluck und Richard Wagner.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Jede gute Darstellung der Musikgeschichte; aber auch die entspre�chenden Artikel in Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), 2. neubearbeitete Ausgabe, hg. von Ludwig Finscher; z.B.: �Dramma per musica� (Opera seria), Sachteil, Bd. 2, Sp. 1452-1500; �Mu�sikdrama�, Sachteil, Bd. 6, Sp. 1182-1195; �Musiktheater�, Sachteil, Bd. 6, Sp. 1670-1714; �Oper�, Sachteil, Bd. 7, Sp. 635-641; �Trag�die lyrique � Trag�die en musique�, Sachteil, Bd. 9, Sp. 703-726.

 

 

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6. Februar 2003

 

Prof. Dr. Fritz Paul

Henrik Ibsens untragische Trag�dien

 

 

 

Ist es tragisch, wenn eine Mutter sich �berlegt, ob sie ihrem geisteskranken er�wachsenen Sohn das ,erl�sende� Gift geben oder ihn ein Leben lang pflegen soll? So in Ibsens Gespenster. Aktuell ist es auf jeden Fall. Stichworte: Euthanasie, Pflegefall. � Ist es tragisch, wenn eine schwangere Hysterikerin sich in einer gro�tesk-theatralischen Szene in den Kopf schie�t, nachdem sich kurz zuvor ihr Ver�ehrer in den Unterleib geschossen hat? So in Ibsens Hedda Gabler. Aktuell ist es auf jeden Fall. Nicht nur in der Welt der Soap-Operas. � Ist es tragisch, wenn ein Bankrotteur, der viele Menschen ins Ungl�ck gest�rzt hat und dem jedes Un�rechtsbewu�tsein abgeht, einen Herzinfarkt in eisiger Winternacht erleidet? So in Ibsens John Gabriel Borkman. Aktuell ist es auf jeden Fall. Betr�gerische Kon�kurse sind ebenso an der Tagesordnung wie Herzinfarkte.

In der Vorlesung soll an drei Beispielen aufgezeigt werden, wie Ibsen die klassi�sche Trag�die verabschiedet, indem er eine neue �Tragik des Alltags� (Maurice Maeterlinck) entwickelt und dadurch zum Ahnvater des modernen Dramas wird. So ist beispielsweise Frau Alvings Sohn Osvald in Gespenster auf vielf�ltige Weise ,determiniert�. Ihm ist daher, wie so vielen anderen Ibsenschen Figuren, wie auch seiner Mutter, jede Selbstbestimmung verwehrt, so da� er als Nicht-Handelnder auch nicht mehr schuldig werden kann im Sinne der klassischen Trag�die, son�dern als Objekt seiner Familienbindung untragisch zugrunde geht. � In Hedda Gabler gibt es zwar am Ende zwei Tote, aber Hedda Gablers ganzer Lebensent�wurf ist als Inszenierung ins Sinnlos-Groteske entglitten, und der Text zeigt bei genauerer Lekt�re eher eine Affinit�t zum grotesken oder absurden Drama des 20. Jahrhunderts als zur klassischen Trag�die. � In John Gabriel Borkman ist vor langer Zeit ein gr�nderzeitlicher Potentat gest�rzt, und die Fallh�he ist gro�. Borkman selbst empfindet das ausschlie�lich als die Trag�die seines Lebens, da er in egozentrischer Verblendung den Blick nur auf sich selbst richten und f�r an�dere kein Mitgef�hl empfinden kann. Er st�rzt nicht mehr wie die gro�en Shake�speareschen Helden in der Aura wahrhaftiger Tragik, sondern beigemischt sind in seinem Charakterportr�t Z�ge des Tragikomischen und Grotesken, Stilz�ge und Bedeutungsmuster, die das Motiv gerade f�r die Moderne handhabbar machen und die erst in Inszenierungen unserer Tage (etwa von Luc Bondy) herausgear�beitet wurden. Ein Seitenblick auf Strindberg erh�rtet diese These.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Die drei behandelten Gesellschaftsdramen Ibsens sind bis heute im Re�pertoire des Welttheaters gegenw�rtig und auch als Reclam-B�ndchen leicht zug�nglich. Der Schwerpunkt der Ausf�hrungen wird auf Gespenster liegen: Henrik Ibsen: Gespenster. Ein Fa�miliendrama in drei Akten. Aus dem Norwegischen �bersetzt von Heidi Kr�ger. Nachwort von Aldo Keel. Stuttgart: 1999 (RUB 1828). � Henrik Ibsen: Hedda Gabler. Schauspiel in vier Akten. Aus dem Norwegischen �bersetzt von Christel Hildebrandt. Nachwort von Helmut Bachmaier. Stuttgart: 2001 (RUB 2773). � Henrik Ibsen: John Gabriel Borkman. Schauspiel. Aus dem Norwegischen von Hans Egon Gerlach. Nachwort von Gerhard Reuter. Stuttgart: 1993 (RUB 8673).

 

 

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13. Februar 2003

 

Prof. Dr. Fred L�nker

Der Verfall des Tragischen

 

 

 

W�hrend Friedrich Nietzsche in seinen Anf�ngen noch von einer Wiedergeburt der Trag�die aus dem Geist der Wagnerschen Musik tr�umte, mehren sich sp�testens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Stimmen, die eine Wiederer�weckung dieser Gattung f�r unm�glich hielten. Allenfalls �ber den Weg einer Neufassung der antiken Vorbilder sei dies m�glich, einer Neufassung allerdings, die in die St�cke den Geist der Moderne legen m�sse. Derselbe Hofmannsthal, der eine solche ,Neuauflage� in der Elektra versucht, schreibt denn auch 1921, die b�rgerliche Welt als die Welt des blo� sozial Bedingten sei trag�dienuntauglich. Botho Strau� schlie�lich konstatiert, unsere Ungl�cke seien �auf schmerzliche, beinahe brutale Weise untragisch�. Ein Bed�rfnis nach Selbsterh�hung sei es, das die Zeitgenossen nach Trag�dien verlangen lasse, der Wunsch, ein �gro�artiges Leidwesen� zu sein. Gleichwohl � das zeigte schon das Beispiel Hofmannsthals � wurden solche St�cke geschrieben, sei es in der Tradition jener Antikenrezeption wie etwa Gerhart Hauptmanns Atriden-Tetralogie, oder sei es � in g�nzlich ande�rer Weise � Karl Kraus� monstr�ses Werk Die letzten Tage der Menschheit, in dem die Gattungsbezeichnung Trag�die allerdings weniger die Form als vielmehr das Thema meint. Vollends zur ironischen, aber darin bedeutungstragenden Folie wird sie in Brechts Die heilige Johanna der Schlachth�fe, die zugleich Parodie und Travestie von Schillers romantischer Trag�die ist, oder etwa in D�rrenmatts St�ck Der Besuch der alten Dame, bei dem man sich nur noch mit dem Begriff der Tragik�m�die behelfen kann. Die Vorlesung will an ausgew�hlten Beispielen den Verfall, aber auch das Nachwirken einer ehemals ,klassischen� Gattung demonstrieren.

 

 

 

Literaturempfehlungen: Zur Vorbereitung empfiehlt sich die Lekt�re von Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Trag�die, oder: Griechentum und Pessimismus, Ditzingen (Reclam) o.J. � Hugo von Hofmannsthal, Elektra, Ditzingen (Reclam) 2001. � Bertolt Brecht, Die heilige Jo�hanna der Schlachth�fe, Bange 2002. � Friedrich D�rrenmatt, Der Besuch der alten Dame, Z��rich (Diogenes) 1998. � Botho Strau�, Kalldewey. Farce, M�nchen (dtv) o.J.